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Interview: Ukraine

Interview mit Alexander Markus, Geschäftsführer und Vorsitzender des Vorstandes der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer/AHK Ukraine

»Die meisten Kollegen, die in der Ukraine geblieben sind, halten sich in der Westukraine auf.«

Markus, Alexander
Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer/AHK Ukraine
Geschäftsführer und Vorsitzender des Vorstandes

meo: Wie haben Sie und Ihr AHK-Team die letzten Wochen seit dem 24. Februar erlebt?

Ich selbst musste nach Aufforderung des Auswärtigen Amtes das Land bereits im Februar verlassen.
Inzwischen sind 13 Mitarbeitende aus der Ukraine geflüchtet – in erster Linie Kolleginnen mit Kindern, denn Männer im wehrfähigen Alter von 18 bis 60 dürfen die Ukraine aktuell nicht verlassen. Die meisten Kollegen, die in der Ukraine geblieben sind, halten sich in der Westukraine auf, wo es einigermaßen sicher ist. Einige sind aber in Kyiv geblieben bzw. inzwischen dorthin zurückgekehrt.
Sehr dankbar bin ich den AHKKolleginnen und Kollegen in den angrenzenden Ländern, vor allem Polen und der Slowakei, aber auch Österreich, die Kolleginnen empfangen und in den ersten Tagen eine Unterkunft in ihren Ländern zur Verfügung gestellt haben, bevor die meisten von ihnen nach Berlin weitergereist sind.
Die AHK-Kollegen aus Polen hatten dabei am meisten zu tun, weil der am häufigsten verwandte Weg der Evakuierung die Strecke über Warschau war. Ebenso toll hat der DIHK in Berlin unterstützt.

Arbeitet die AHK derzeit noch, obwohl das Team über mehrere Länder verteilt ist?

Ja, die AHK Ukraine arbeitet weiter! Wir organisieren Webinare und erstellen Informationsmaterialien, haben wöchentlich Vorstandssitzungen, besprechen Gesetzesänderungen, nehmen Stellung zu diesen im Rahmen des Kriegsrechtes in der Ukraine, zahlen ganz normal Gehälter und Sozialabgaben. Die Kommunikation mit dem AHK-Team funktioniert genauso wie in Zeiten der Pandemie – jeden Montagnachmittag schalten sich die Mitarbeitenden zu den Teambesprechungen hinzu, ganz gleich, wo sie sich gerade befinden.
Ich bin sehr glücklich, dass es bisher niemanden bei uns im Team gibt, der physischen Schaden genommen hat, obwohl es in den Familien schon Todesfälle zu beklagen gibt. Wie die Mitglieder im Team mit den psychischen Traumata umgehen werden, kann ich jetzt noch ganz und gar nicht beurteilen.

Kann momentan noch Geschäft mit der Ukraine betrieben werden und wenn ja, wie?

Geschäft mit der Ukraine ist weiterhin möglich, allerdings gibt es einige Einschränkungen, vor allem beim Devisenumtausch. Soweit ich weiß, haben viele Automobilzulieferer schon wieder angefangen, an ihren Standorten in der Ukraine zu produzieren. In den westlichen Landesteilen war das Risiko bisher überschaubar. Dort wurden bis Ende März vor allem militärische Ziele durch Bomben oder Raketenbeschuss zerstört wie z. B. Flughäfen, Landebahnen, Öllager etc.

Die wesentlichste Herausforderung für deutsche Unternehmen war zu Beginn die Logistik, die nicht mehr funktionierte, auch weil die LKW-Fahrer das Land nicht verlassen durften.
Das hat sich aber inzwischen zunehmend eingerenkt. Einmal gibt es Sondererlaubnisse und die Fahrer müssen dann innerhalb von sieben Tagen wieder zurückkehren oder man heuert Fahrer an, die über sechzig Jahre alt sind.
Inzwischen ist die größte Herausforderung die völlig veränderte Nachfrage – mal abgesehen von Grundnahrungsmitteln und Medikamenten.

Wie können unsere regionalen Unternehmen am besten helfen, um die ukrainische Bevölkerung zu unterstützen?

Wie man helfen kann? Einerseits kann man einfach spenden. Den Link zu unserem Aufruf findet man auf unserer Website ukraine.ahk.de. Eine andere Möglichkeit – vor allem, wenn man Sachspenden in die Ukraine bringen will – dann sollte man sich in der eigenen Belegschaft nach Ukrainern oder Ukrainerinnen umschauen. Die haben Kontakte zu Menschen vor Ort, die am besten wissen, was jeweils vor Ort fehlt.
Wenn man ihnen dann noch Geld gibt sowie einen Kleinbus oder bei der Logistik unterstützt, bringen die die Hilfslieferungen schnell direkt in die Ukraine. Die Lieferungen müssen als humanitäre Lieferungen ausgezeichnet werden. Dafür gibt es in der Ukraine ein gesondertes Zollregime. Sachspenden ungezielt einfach an die polnisch-ukrainische Grenze zu bringen, macht aus meiner Sicht heute keinen großen Sinn mehr.

Schwieriger wird es bei Hilfslieferungen mit medizinischen Gütern. In dem Bereich fällt inzwischen schon die Beschaffung in Deutschland schwer. Auf der Website, die gemeinsam vom DIHK und anderen Spitzenverbänden erstellt wurde – www.wirtschafthilft.info – kann man weitere Hinweise zu diesem sowie anderen Themen erhalten. Im Bereich der Lebensmittelversorgung hat das BMEL eine Koordinierungsstelle für die Hilfe von deutscher Ernährungsindustrie und Einzelhandel ins Leben gerufen: www.bmel.de/DE/themen/internationales/ukrainehilfe.html.

Neben dieser schnellen Hilfe ist es aber genauso wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie der Ukraine nach dem Krieg geholfen werden kann. Schon heute reden viele von einem Marshallplan für die Ukraine. Dieser muss aber anders aussehen als die unendlich vielen internationalen, in der Regel völlig unkoordinierten Hilfsprogramme der Vergangenheit. Nach dem Sieg der Ukrainer muss direkt in den Wiederaufbau von Infrastruktur und Wohnraum investiert werden, wie man das im Rahmen der Struktur und Investitionsfonds innerhalb der EU macht.

»Die Lieferungen müssen als humanitäre Lieferungen ausgezeichnet werden. Dafür gibt es in der Ukraine ein gesondertes Zollregime.«

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